Wer geboren werden will, muss eine Welt zerstören


 

Anmerkung:

Dieses Buch hat mit der Urfassung von Hermann Hesses Erleuchtung aus dem Jahr 2006 nur noch wenig zu tun. Es ist  von einem sehr viel klareren und tiefgründigeren Geist inspiriert bzw. durchdrungen.

 

Aus der Einleitung:

Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen,

was von selber aus mir heraus wollte.

Warum war das so schwer?

(Hermann Hesse)

 

Der Traum von einem Gott, der uns zur Seite steht und dabei das Gute in uns zu Tage fördert, hindert uns daran, geboren zu werden und zur  Wirklichkeit der Welt durchzubrechen.

 

Abraxas kennt unsere  Kinderträume. Das lässt Ihn sagen: „ICH will und werde mich in dir  durchsetzen. Bis dahin vergeht Zeit. Deine illusionären Vorstellungen erzeugen die Zeit, die dich von Mir trennt. Die Zeit ist, was du als Leiden erfährst - Widerstand gegen die Wirklichkeit deiner selbst. Du  hast Angst davor, wirklich geboren zu werden. Deine Furcht besteht  darin, über dich selbst hinauszuwachsen. Noch ziehst du es vor, die  Rolle des hoffnungslos Verliebten zu spielen - die Rolle des sich immer  wieder selbst enttäuschenden Fantasten ...“

 

Abraxas symbolisiert den Aufbruch in die Welt der Gegenwart. In eine Welt ohne Tradition und  Moral. In eine Welt, die den Tod überwunden hat. Diese Welt jenseits der Welt hat dich schon immer gerufen. Diese Welt bist du selbst. Es ist an der Zeit, die Zeit hinter dir zu lassen. Es ist an der Zeit, aufzubrechen.

 

„Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selbst aus mir heraus wollte.“ – Was für ein vergeblicher Versuch! Und doch. Das klare Erkennen, dass dieses Vorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, (er)öffnet den Raum. Es befreit – mich von mir. Es befreit mich von der Idee, zu meinem idealen „Ich“ werden zu können.

 

Der Wunsch, zu tun, wozu wir bestimmt sind, zeugt von Uneinsichtigkeit. Niemand wird jemals etwas anderes tun! Und wenn doch, dann wird er den Eindruck haben, dass es schwer auf den eigenen Schultern lastet.

 

Vielleicht wollen wir oft gar nicht tun, was „von selbst“ aus uns heraus will, sondern genau das Gegenteil, nämlich das, was uns am meisten verspricht, also das, was wir uns für uns selbst erträumen. Solange wir darauf bestehen, uns selbst zu gestalten, ist es uns bestimmt, uns selbst zu (er)tragen. Das ist nicht etwa ungerecht, sondern entspricht dem Prinzip, das sich als Existenz zu erkennen gibt.

 

Eine Blume bildet sich nichts auf ihr Erblühen ein. Sie nimmt sich nichts vor und hält nichts zurück. Sie folgt der ihr innewohnenden Kraft unmittelbar und bringt diese Inspiration unverfälscht in den Ausdruck. Auf diese Weise erfüllt sich, wie sich das, was Existenz ist, als Blume zeigt.

 

Nur das, was bereit ist, in Erfüllung zu gehen, kann ganz von sich lassen. Der Wunsch, das eigene Blühen selbst zu bewirken, schneidet uns von der Kraft ab, die Erfüllung ist. Die Idee, selbst etwas darstellen zu können, verschleiert, was wir potenziell bereits sind. Damit hindern uns alle Ideen darüber, wer wir sind oder sein sollten, daran, der Erfüllung zu entsprechen.

 

Obwohl wir bereits vollkommen sind, will und muss diese Vollkommenheit erst noch „zu sich kommen“ und in den Ausdruck finden. Daher sind wir beides – Vollkommenheit und das, was verwirklicht oder unverwirklicht ist.

 

Die Frage ist einzig, wie lange ich brauche, um in dem, was sich mir zeigt, Vollkommenheit zu entdecken. Wenn sie sich mir schließlich zeigt, bin ich, was Erfüllung ist. Dann bestehe ich nicht länger darauf, extra erfüllt werden zu müssen. Das ist die Verwirklichung!

 

Bis dahin halten wir das eigene Scheitern für möglich und werden deshalb immer von der Angst vor dem eigenen Versagen begleitet. Und das nur, weil wir nicht tief genug schauen und uns vorschnell selbst darstellen wollen – auf eine uns angenehme Weise.

 

Insgeheim fürchten wir nichts mehr, als die eigene Bedeutungslosigkeit. Wir fürchten, ein unbedeutender Niemand zu sein, jemand, der von niemandem erkannt und anerkannt wird. Dieser Angst wollen wir unter allen Umständen ausweichen. Deshalb betreiben wir den unglaublich großen Aufwand der Selbstdarstellung, an dem wir letzten Endes scheitern müssen.

 

Die Frage ist: Wer hat uns dieses Bild von uns selbst gegeben? Wenn wir leben, was die Existenz für uns vorgesehen hat, fallen wir hin, wenn es ums Hinfallen geht, und stehen wieder auf, wenn es ums wieder Aufstehen geht. Wenn wir der Existenz vertrauen, ist alles einfach. Dann haben wir nichts zu verlieren und sind frei, unvoreingenommen mit all den Siegen und Niederlagen, all den Freuden und Schmerzen, all den Kämpfen und Versöhnungen zu leben, die erlebt, gefeiert, errungen und erduldet werden wollen. Es geht also einzig und allein darum, das Leben weder vorwegzu-nehmen, noch ihm hinterherzurennen. Dazu kann es erst kommen, wenn wir aufhören, uns ein eigenes Leben zu erträumen, das wir in eigene Bilder kleiden. Denn genau dadurch verhüllen und entziehen wir uns vor dem, was sich als Leben offenbart.