© Ben Hollenbach
Wenn ich ganz weit in mir zurücktrete – und damit tiefstmöglich in mich eintrete – höre ich auf als Bild zu erscheinen. Dann bin ich das Einzige – und zugleich nichts von alledem.
Dann gibt es niemanden mehr, der sich von etwas lösen muss, weil es niemanden mehr gibt, der mit „etwas“ verbunden ist. Dann bin ich all-ein hier. Vollkommen allein. Und damit ganz. Nicht auffindbar. Ohne Repräsentanten. Ohne ein Bild von mir, in dem ich mich suche. Hier gibt es nichts mehr von mir, an das ich mich hängen kann. Hier gibt es nichts, mit dem ich mich identifizieren kann. Nicht in diesem Geist. Nicht, wenn alles, was ich zu sein glaube, einfach nur noch gesehen wird.
Hier bin ich erlöst von „mir“. Erlöst von mir als unhaltbarem „Glaubensbekenntnis“. Und wenn ich ein ganz klein wenig näher komme – zu mir – zu diesem, wovon ich schon immer Erlösung suche, schon immer – seit es mich gibt, dann sehe ich, dass es das einzige ist, an dem ich so sehr hänge, weil es für mich nichts anderes gibt. Und so bleibt mir nichts anderes übrig, als mich an dieses „mich-selbst“ zu hängen, weil ich überhaupt nichts anderes erfahren kann als dieses „mich selbst“, das mich so klein und eng macht – und so abhängig von dieser Kleinheit, von dieser Enge. Die sich erlösen möchte, die frei von sich sein möchte, die endlich mal in Ruhe und damit einfach sein möchte.
Der Konflikt mit mir selbst, dieser absolute Widerspruch in mir selbst besteht im Widerspruch, dass ich das loswerden möchte, an dem ich so hänge, als hinge davon mein Leben ab. An dem ich so hänge, als wäre ich es – weshalb ich es nicht loslassen kann! – Weil die Instanz, die loszulassen versucht, nicht loslassen kann. Weil sich die Instanz, die loszulassen versucht, für das hält, an dem sie sich festhält.
Wenn ich also wieder ein Stück näher komme, in diesem Geist, der zurückgetreten ist – ein Stück näher komme und mir diese große Not anschaue, in der ich mich befinde, weil ich mit etwas identifiziert bin, an dem ich so vollkommen hänge, dass ich von dieser Identifikation abhängig bin, so abhängig, dass ich versuche, diese Identifikation zu lieben, dass ich versuche, mir selbst zu entsprechen, dass ich versuche, mit mir, mit meinem Leben, mit der Welt, in der dieses Leben stattfindet, zufrieden zu sein – und sehe: Egal, was ich tue, egal, welches Bild ich aufzubauen versuche, egal, woran ich mich orientieren möchte, woran ich mich festhalten möchte – nichts ist stabil. Alles verändert sich. – Und das macht Angst. Und Angst macht eng. Und aus dieser Enge heraus bestätigt sich dieses viel zu kleine Ich immer wieder – als mein Selbsterleben …
Ich möchte mich an Zuständen festhalten, die es in Wirklichkeit nicht als diese Zustände gibt. Weil es keine Zustände gibt – weil das Leben Bewegung ist. Weil alles fließt. Weil alles, was kommt, geht; weil ich geboren bin und sterben werde. Weil ich in diesem Prozess gefangen bin. Der in Wirklichkeit kein Prozess ist, in dem ich gefangen bin, sondern einfach nur Prozess.
Doch wenn ich mich mit diesem Prozess identifiziere, wenn ich glaube, von diesem Prozess abhängig zu sein, dann geht es letzten Endes immer mehr oder weniger um mein Leben, um mein Überleben … um die Bilder, die ich von mir habe, um das, was ich bis jetzt aufgebaut, geschafft und erreicht habe. Erst in dem Augenblick, wo ich erkenne, dass ich durch mich – durch das Mir-erschienen-Sein, auf etwas Dahinterliegendes aufmerksam werden kann, nämlich auf mich selbst als das, was ständig zurückgetreten ist, und damit auf mich als das, was sich ständig im Hintergrund „aufhält“, weil es der Raum selbst ist, weil es Gewahrsein selbst ist – erst dann kann etwas passieren, das sich anfühlt wie Weite, wie Frieden, wie Stille, wie Nichtwissen. – Wie tiefes Schweigen.
Immer ist es dahinter. Immer bin ich – das, was ich in und als Wirklichkeit bin – dahinter.
Die „höchste Form der Wirklichkeit“ lässt sich nicht mehr greifen und hat keine Form – und wird deshalb nicht als Wirklichkeit erkannt. Ich selbst – hier, als dieser Mensch, der dem Prozess des Wandels unterworfen ist – ich selbst werde von mir, von dem Dahinter, erlebt, erfahren. Das ist die stille Erfahrung, die immer offensichtlicher, die immer deutlicher wird.
Ich als das Dahinter schweige schon immer. Ich bin schon immer hier – still, offen, gegenwärtig. Und in dieser stillen, offenen Gegenwart findet ein Prozess statt: eine Identifikation mit einer bestimmten Form, und das Erleben des Schmerzes über die Identifikation mit dieser Form. Weil ich, wenn ich auf diese Weise mit etwas identifiziert bin, immer kleiner und immer enger werde. Weil ich auf diese Weise immer mehr Angst erlebe und Sorgen habe. Weil ich der Situation zu entkommen versuche. Der Situation, der sich nicht entkommen lässt: dem Prozess des Wandels, der fortwährenden Veränderung. Hier ist nichts statisch. Hier kann nichts festgehalten werden. Das ist es, was mich so ängstigt, solange nicht voll durchdrungen ist, was hier in Wirklichkeit passiert: Ich selbst werde durch die sich verändernde Erscheinung im Vordergrund (also durch mich als diesen Menschen) darauf aufmerksam, wer ich als Wirklichkeit bin. Gegenwart. – Bewusste Gegenwart. Die vollkommen offen und frei erlebt, was darin passiert: Ich passiere mich als dieser Lebensstrom.
Solange ich mich nicht frei passieren kann oder frei passieren darf, solange meine Einsicht in die Wirklichkeit des Lebens nicht tief genug ist, solange bereitet mir das immer wieder Sorge, Schmerz, Kummer und Angst. Weil ich an nichts festhalten kann. Weil ich erlebe, was es bedeutet, dem Wandel unterworfen zu sein. Und dem Wandel unterworfen zu sein, macht mir Angst. Bis ich es unmittelbar und damit ganz direkt wahrnehme: Ich bin der Hintergrund.
In diesem Geist, im Geist, der schweigt, der wahrnimmt, der offen ist, wird es immer deutlicher gesehen. – Ich fange an, mich selbst zu sehen, überall …
Sehen heißt: empfangen. Einfach empfangen. Im Gesehen-Sein ist es empfangen. Es wird immer stiller. Weil es sich immer tiefer selbst vernimmt. Dieses tiefe Selbst-Vernehmen ist eine unendlich zarte Berührung, die sich selbst erlebt. Hier. Und jetzt.
Das ist die Erlösung – die Erlösung von dem Schmerz, den ich angenommen habe, als ich mich an etwas festgehalten habe, das ich für mich gehalten habe.
Meine Sehnsucht nach Freiheit ist real! Meine Sehnsucht nach Freiheit ist der Ruf, den ich bis hierher – in die mich verengende Perspektive vernehmen kann. Es ist der Ruf zurück zu mir, zurück zu mir als Wirklichkeit. Zurück zu mir als der Instanz, die sich selbst empfängt, dabei aber nicht mehr festhält, sondern passieren lässt.
Das Leben passiert … Das ist die Erlösung!