Die unerschütterliche Pünktlichkeit des Zufalls.


 

Die unerschütterliche Pünktlichkeit des Zufalls beschreibt genau das, was Gegenwart ist. Hier passiert es. Und das entzieht sich unserem Verständnis. Wir versuchen eine Form von Kausalität herzustellen, um überhaupt verstehen zu können. Wir suchen so verzweifelt nach der Ursache für die Wirkung. – Um zu verstehen: Was passiert hier? Warum ist es passiert? Wie konnte es passieren? – Weil wir glauben, anders nicht verstehen zu können! Und wenn wir die Regeln für das, was passiert, nicht finden, dann nennen wir es Zufall, oder ein Wunder, oder etwas Unglaubliches oder eine Katastrophe. – Und vor „so etwas“ haben wir einen gehörigen Respekt, eben weil es uns daran erinnert, dass wir letzten Endes nicht wissen und damit nichts vollkommen kontrollieren und steuern können.

 

Dabei ist die unerschütterliche Pünktlichkeit des Zufalls genau das, was Gegenwart ist und jetzt passiert: Eine „Machtdemonstration“, die keiner Macht – und damit keiner Bestätigung durch uns bedarf! – Jetzt tritt es ein. Jetzt wird es so gefühlt. Jetzt wird es so gedacht. Und zwar ausschließlich das, was jetzt gefühlt und gedacht wird. Und das ist es, was uns so gut wie nie bewusst wird: Dass jedes Empfinden und jeder Gedanke eine Ausschließlichkeit ist. Eine ganz direkte Soheit, die in Majestät eintritt und den gesamten Raum einnimmt. Nur so, jetzt, in diesem Augenblick. Und wenn wir diesem Augenblick ausweichen wollen, denken wir ihn uns in Alternativen. Und dann ist es genau so! Dann denken wir in Alternativen, statt uns ganz auf das Gegenwärtige einzulassen. Doch wie wir es auch drehen und wenden: Die Gegenwart hat immer „Recht“. Weil sie nicht so kleinlich ist, sich auf etwas Erdachtes wie „eine Kausalität“ zurückführen zu lassen. Weil die Gegenwart unendlich viel größer ist als das, was wir in ihr sehen und von ihr erwarten!

 

„Die unerschütterliche Pünktlichkeit des Zufalls“ ist deshalb eine so schöne Bezeichnung für das, was Gegenwart ist, weil wir uns damit erlauben können aufzuhören, alles begründen zu müssen. Alles verstehen zu müssen. Alles analysieren, katalogisieren und kartographieren zu müssen. Wir werden durch die Unerschütterlichkeit des Zufalls frei, zu erleben, was in diesem Augenblick zu uns kommt. Und damit werden wir zu empathischen, das Leben empfangenden Wesen, zu Selbstempfängern ... – zu Anwesenheiten, die nicht immer wieder nur schlussfolgern, die nicht immer wieder nur verstehen wollen, um letzten Endes so bleiben zu können, wie sie sind: Unberührbar, unbelehrbar und damit uneinsichtig. – Aus Angst vor der Unberechenbarkeit es Lebens!

 

Wenn uns das auffällt, werden wir nach und nach verwirklichen, dass uns der Augenblick fehlt, die Lebendigkeit, und damit das Nichtvorhersagbare, das Staunen, das als das Wirkliche gerade zu sich kommt. Als das Nichtberechenbare, das in keine Statistik Einlass findet, weil es zu echt, zu wirklich und zu gegenwärtig ist, als dass es sich für solche Zwecke missbrauchen ließe.

 

Die unerschütterliche Pünktlichkeit des Zufalls beschreibt das, was Leben ist. – Jetzt bricht die Blüte auf. Jetzt fällt das Blatt vom Baum. Jetzt miaut die Katze. Jetzt haucht sich der letzte Atemzug aus. Jetzt geht die Sonne auf. Jetzt verschwindet das Licht. Jetzt erfasst mich eine Welle des Glücks. Jetzt werde ich traurig.

 

Es ist immer dieser Augenblick, der sich erfährt, und zwar in einer Unmittelbarkeit und Vehemenz, die uns erschüttern kann. Weil wir diese Erschütterung brauchen. Die Erinnerung daran, dass das Leben eben doch nicht berechenbar ist. Dass Kausalität eine vorgeschobene Sichtweise ist, die uns beruhigen soll, die uns erklären soll, warum Dinge passieren. Und uns damit in einem Lebens-Modell leben lässt, das dem Leben, so wie es ist, so wie es sich in Wirklichkeit berührt, nicht im Entferntesten nahe kommt. Dabei ist das meine einzige Sehnsucht. Endlich lebendig zu sein. Als dieser berührbare Mensch, der ich in Wirklichkeit bin …