Noumenon und Phänomenon


 

Noumenalität ist die ewiglich unbeschriebene Möglichkeit – Phänomenalität ist das Herausbrechen aus dem Raum der Möglichkeiten in die Realität. Die Sichtbarwerdung.  Aus dem Nichts in die Kristallisation. Nur hiervon lässt sich berichten. Hierin erscheine ich mir selbst. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin wie alles „andere“ auch eine Erscheinung in den unendlichen Weiten des Raumes, die sich von Anfang an fehlt. Dieses Fehlen als Gefühl von Verlassensein führt früher oder später an einen Ort, der sich nach Wahrheit und damit nach seinem Ursprung sehnt. Hier beginnt die Entdeckung der Grenzenlosigkeit, in der dieses Universum, ich selbst und alles, was ich darin „wahrnehme“ erscheint. Hier berührt sich zum ersten Mal etwas ganz anderes. Etwas, was für immer unsagbar (in sich selbst ver)bleibt. Etwas, von dem ich nicht(s) wissen kann. Etwas, was ich mir nicht wünschen kann, weil es nichts ist, was ich bereits kenne. Weil ich es bin.

 

Hier wird zum ersten Mal erahnt, dass das Leben ein sich selbst entdeckendes Mysterium ist. Was es ist! – Es kommt „aus dem Nichts“ zu sich. Und passiert sich dabei. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes an sich vorbei. – Das ist die Geburt. Die von Anfang an auf den Tod zuläuft. Ich bin das Passierende. Das sich dabei erlebt. Etwas, das sich eben deshalb nicht fassen lässt. Weil ich es bin. – Diese unauffindbare Verwobenheit ist so dermaßen unsagbar und dabei so unendlich delikat!

 

Das Noumenale fällt aus sich heraus – in sich als Phänomenalität hinein. Und kann sich dort nicht treffen. – Weil das Noumenale hier nicht bleiben kann, was es ist. Weshalb es Augenblick für Augenblick ins Phänomenale zerspringt. – Wie ein Gedanke, der (sich) im Gewahrseinsnichts erscheint. Und wieder zerspringt, um einer neuen Möglichkeit Platz zu machen. Platz, den es in der Kristallisation zur Wirklichkeit, also in der Phänomenalität in diesem Augenblick nicht (mehr) gibt. – Und so sehen und erleben wir es auch. Der Raum um uns herum ist ein Möglichkeitenfeld, das von etwas besetzt ist. Von Dir. Von diesem Gefühl. Von diesem Gedanken. Von diesem Baum. Dann sieht es so aus – und dann so … Dann ist es „so“. Dabei wird es irgendwann ganz dicht und eng. Dann verlaufen wir uns im Reich der Phänomene. Wir spüren uns in einer Welt gefangen, die einfach viel zu viel ist. Viel zu viel und dabei viel zu wenig. Viel zu laut und dabei viel zu unerfüllt.

 

Immer wieder möchte das Noumenale zeigen, was es ist. Und bricht damit bis in alle Ewigkeit als Wirklichkeit aus sich heraus – und kann sich in dieser Wirklichkeit doch niemals erreichen. Außer durch diese Erkenntnis! Das ist die Verwirklichung einer Stufe von Realität, die wir nicht fassen, aber vollkommen einsehen können. Diese Einsicht ist es, die uns vom Zwang des Fassen-und-Verstehen-Wollens und damit von allen Besetzungen erlöst – und uns im unergründlichen Spiel aufgehen lässt, das sich im und als dieses Leben vollzieht.

 

Darum noch einmal – aber anders: Wenn das Göttliche aus sich herausbricht und sich nicht (wieder)erkennt, dann geht es auf die Suche nach sich selbst und verirrt sich schließlich in der Sinnlosigkeit, die den Ort der maximalen Trennung von sich selbst beschreibt. Oder es lässt sich selbst von der Sinnlosigkeit nicht abhalten und verwirklicht sich schließlich im nichtauffindbaren Noumenalen. An diesem ortlosen Ort, der überall ist. Also genau hier.  Allein hier kann sich das Göttliche als untrennbar eins mit sich selbst verwirklichen – und an keinem anderen Ort. Weil es diesen anderen Ort schlicht nicht gibt! – Was nichts anderes heißt als: Du erkennst Deine unbedingte Wirklichkeit – und wirst zum Zeugen dieses Seins, das durch Deine Augen schaut und in dieses Schauen hinein immer stiller, tiefer und dankbarer wird.

 

All das passiert von allein. – Wenn die Zeit gekommen ist. Die Zeit, in der Vorstellungen ihre Bedeutung verlieren, was bedeutet, dass ich mich und die Welt nicht mehr zu erfassen versuche, weil ich bereits (zu tief) in mich gefallen bin. – Das ist der Zirkel der Realisation. In dem sich Raum und Zeit auf ewig ein- und ausatmen. – Dieser Herzschlag, dieser Atemzug, dieser Augenblick. Alles erinnert uns daran. Die Suche ist vorbei. Das Finden ist grenzenlos …